Können Studierende Informationen im Internet kritisch bewerten?

Das Internet ist für Millionen Studierende in Deutschland die wichtigste Informationsquelle. Sie nutzen die dort gefundenen Inhalte zum Lernen und für studienbezogene Aufgaben. Im Vergleich zu den Lernmaterialien, die in der Hochschullehre bereitgestellt werden, können diese Quellen allerdings von fraglicher inhaltlicher und didaktischer Qualität sein. Studien zeigen, dass es vielen Studierenden schwerfällt, in der Fülle von Online-Informationen geeignete Inhalte aus zuverlässigen Quellen zu finden, kritisch zu bewerten und sinnvoll zu verarbeiten. Zugleich gibt es deutliche Unterschiede in diesen Fähigkeiten. Daher ist es ein wichtiges Forschungsziel, den Umgang mit digitalen Medien differenziert zu messen, zu beschreiben und Ansätze zur Förderung zu entwickeln.
Die Arbeitsbereiche „Educational Measurement“ und „Technology-Based Assessment“ untersuchen diese Kompetenzen der Studierenden, die unter „Critical Online Reasoning“ zusammengefasst werden, in zwei 2023 gestarteten Projekten. Dabei geht es um die Entwicklung der Fähigkeiten im Studienverlauf sowie förderliche und hinderliche Faktoren. Die Projekte sind Teil der DFG-geförderten Forschungsgruppe „Critical Online Reasoning in Higher Education“ (CORE). Der Schwerpunkt der Arbeiten in der Abteilung LLiB liegt auf generischen Critical-Online-Reasoning-Fähigkeiten. Diese werden benötigt, um alltägliche Informationsprobleme ohne einen Bezug zu bestimmten Studieninhalten zu lösen. Das zugrundeliegende theoretische Modell unterscheidet zwischen drei Teilfähigkeiten (siehe auch Grafik „Kompetenzen von Studierenden …“):
- Informationssuche: Relevante und verlässliche Quellen finden
- Bewertung der Informationen: Inhalte auf Glaubwürdigkeit und Absichten prüfen
- Integration der Informationen: Recherchierte Inhalte in einer Argumentation einsetzen
In den Jahren 2023 und 2024 ging es zunächst darum, möglichst authentische Testaufgaben zu entwickeln, mit denen sich diese Fähigkeiten erfassen lassen. Dabei sollen die Studierenden zu einem alltagsnahen Informationsproblem eine Internetrecherche durchführen, geeignete Quellen auswählen und eine Stellungnahme auf Basis der recherchierten Inhalte verfassen. Die Bewertung ihrer Fähigkeiten erfolgt nicht nur anhand der schriftlichen Antworten, also der eigentlichen Problemlösung. Auch das Verhalten bei der Aufgabenbearbeitung, also im Problemlöseprozess, fließt mit ein. Hierzu werden unter anderem die verwendeten Suchmaschinen und Suchbegriffe, die Navigation im Browser und die besuchten Internetseiten aufgezeichnet und ausgewertet.
In einer Variante dieser Aufgaben sollen die Teilnehmenden das Problem mit einer vorgegebenen Auswahl von Webseiten bearbeiten. In einer weiteren Variante dürfen sie das gesamte Internet frei nutzen. Dieses innovative Format ist möglichst realitätsnah, aber aufgrund seiner geringeren Standardisierung auch methodisch herausfordernd. In diesem Zusammenhang ist es besonders interessant, wie die Proband*innen Künstliche Intelligenz bei der Informationssuche nutzen und wie das im Hinblick auf den kritischen Umgang mit Online-Informationen zu bewerten ist.
Als ein weiterer Schwerpunkt der Projektarbeit wurden Ansätze entwickelt, um die Leistungen der Studierenden einzuordnen:
- Geschulte Beurteiler*innen analysieren die schriftlichen Antworten.
- Aus den aufgezeichneten Verhaltensdaten werden Indikatoren abgeleitet, die Aufschluss über die Recherche-Kompetenz geben.
Die Forschenden wollen beide Ansätze kombinieren, um die Differenzierung in den drei Teilfähigkeiten (siehe auch Grafik „Kompetenzen von Studierenden …“) zu überprüfen.
Schließlich fand im Wintersemester 2023/24 die erste Datenerhebung der LLiB-Projekte in der Forschungsgruppe statt. Studierende aus den Fachbereichen Wirtschaft, Medizin, Soziologie und Physik an sieben Universitäten wurden dabei getestet und befragt. Als Teil einer Panelstudie werden diese Datenerhebungen die Teilnehmer*innen während ihres gesamten Studiums begleiten. Auch andere potenziell relevante Fähigkeiten wie Lesekompetenz und allgemeine Intelligenz werden erfasst. Das soll helfen, den Stellenwert der spezifischen Kompetenzen zum kritischen Umgang mit Online-Informationen besser einschätzen zu können. Zudem beantworten die Studierenden zahlreiche Fragen zu ihrem Mediennutzungsverhalten und zu ihren Lerngelegenheiten im privaten und im hochschulischen Kontext.
All diese Daten werden miteinander verknüpft. So soll sich ein systematisches Bild ergeben, wie sich die Fähigkeiten zum kritischen Umgang mit Online-Informationen langfristig entwickeln. Außerdem wollen die Forschenden potenzielle Förderansätze identifizieren.
Ausgewählte Publikationen
Köhler, C. & Hartig, J. (2024). ChatGPT in higher education: Measurement instruments to assess student knowledge, usage, and attitude. Contemporary Educational Technology, 16(4), ep528. doi:30935/cedtech/15144